Auf über drei Kilometer Länge wurde der Germersheimer Stadtkern einst umfasst. Am 18. Oktober 1834 ließ der Ingenieur-Major Friedrich Schmauß im Auftrag des bayrischen Kriegsministeriums den Grundstein legen, doch schon während des Baus war die Festung nur noch Makulatur. Der Fortschritt der Waffentechnik hatte die Festungsarchitektur überholt und die Mauern legten sich wie eine steinerne Fessel um Germersheim. Was damals zum Hemmschuh für die städtebauliche Entwicklung wurde, ist heute das historische Erbe – und der Stolz der Stadt.
Zahlen, Daten, Namen: Gästeführer Kurt Burger kennt sie alle. Die Geschichte hält ihn jung, so viel ist sicher.
Nur selten kneift er die wachen, hellbraunen Augen zusammen, denkt kurz nach, bevor er weiter durch die Vergangenheit reist. Während das „Urgestein“ der Germersheimer Gästeführer dabei grundsätzlich Anzughose, Hemd und Krawatte trägt, schlüpfen manche Kollegen schon mal in historische Kostüme: die Bauersfrau etwa, die forsch fragt: „Ach Gott, geht’s Ihnen nicht gut?“ Und wissen will: „Haben Sie etwa auch diese Krankheit, die die Franzosen mitgebracht haben?“ Damit spielt sie auf die Blattern an, also die Pocken. Und da ist noch der Steuerbeamte Alwin Heusinger, der aus einem Zeitschlaf erwacht und mit einer Kollegin Vergangenheit und Gegenwart vergleicht. Er erzählt von den Pferdekutschen, die gestern noch fuhren, und davon, wie er seine Kumpanen einst im Festungslazarett besuchte.
Das Lazarett: ein langes, imposantes Gebäude neben dem Weißenburger Tor, einem der Stadttore, in dem das Besucherzentrum mit einer Ausstellung über die Festung untergebracht ist. Im Lazarett kamen Erkrankte sowohl vom Militär als auch aus der zivilen Bevölkerung unter. 1939 wurde es zum Wehrmachtsgefängnis. „Soldaten, die etwa Kameraden bestohlen oder Fahnenflucht begangen hatten, waren beispielsweise hier untergebracht“, erzählt Burger. 49 deutsche Soldaten seien hier erschossen worden, der jüngste war gerade 19 Jahre jung. Nach dem Krieg wurde das Gebäude zum Gefängnis der Franzosen, später nutzte es die Bundeswehr – seit 2000 steht es leer. Keine Frage lässt Burger unbeantwortet: „Trockener Sand bis zu einer Höhe von 2,50 Meter liegt unter dem Dach.“ Granaten sollten darin verpuffen. Der Sand müsse aufwendig rausgeschafft werden, wolle man das Gebäude wieder nutzen.
Nächste Station: die Grabenwehr. Ein einladender Spielplatz steht vor dem Eingang zu den unterirdischen Gängen. Etwas feucht, mit sandigem Boden und niedrigen Decken. Später führt Burger auf die Brücke am Weißenburger Tor, die einmal die Zugbrücke war, und „abends zu einem Drittel hochgezogen wurde“. Das Tor ist noch original, darin ein „Ein Mann-Türchen“, durch das Besucher kriechen durften. Der Blick von der Brücke gibt den Graben von damals frei, zeigt imposante Teile der Festung, aber auch Zerstörung: Denn nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags mussten Teile der Festung geschleift – das heißt gesprengt – werden.
In einigen erhaltenen Teilen der Festung wohnen die Germersheimer von heute. In der Stadt treffen Historie und Moderne aufeinander.
Satellitenschüsseln prangen an einem der alten Backsteingebäude. In den ehemaligen Militärgebäuden sind heute unter anderem Museen, ein Kulturzentrum, eine Musikschule und die Hochschule untergebracht. „Man entdeckt hier Ecken, die einen in eine ganz andere Zeit bringen“, schwärmt die Germersheimer Tourismus-Chefin Frauke Vos-Firnkes. Man finde hier Ruhe mitten in der Stadt. Das zeigt sie den Gästen der Stadt mit mit immer neuen Ideen: mit Weinproben und Glühweinführungen, mit Kindergeburtstagen und Angeboten für Schulklassen. Es gibt Segway-Touren, Kutschfahrten, Radausflüge und sie selbst führt Gäste über den Friedhof von 1834, wo Festungsingenieur Ritter Friedrich von Schmauß einen Ehrenplatz erhielt. Er starb keineswegs bei einem Angriff auf die Festung, sondern an einer Krankheit.
Hier geht‘s steil nach unten: der Zugang zur Kasematte.
Gästeführer Kurt Burger ist ein sanftmütiger Mensch. Von der schweren Kanone, einem Nachbau, der in der Kasematte steht, ist er wenig beeindruckt, nennt sie bloß „Spielzeug“. Er berichtet von Stollen, prall gefüllt mit Schwarzpulver, die in die Luft gejagt werden sollten, hätte sich der Feind genähert. Von Schlachten aber kann Kurt Burger nichts erzählen. Hätte es sie gegeben, ganz sicher würde er sie kennen: die Jahreszahlen, die Anzahl der kämpfenden Soldaten, der Verwundeten, der Todesopfer. Aber: „Hier ist nie ein Schuss gefallen.“ Die Germersheimer Festung wäre damit ein Monument des Friedens – seit über 150 Jahren.
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