Beim Hobby Horsing ist man Pferd und Reiter zugleich – nicht nur das macht den Sport so ungewöhnlich. Beim Training des TuS Altrip wird klar, dass aus dem Internet-Hype längst eine herausfordernde Disziplin geworden ist.
Gleich ist der Parcours bewältigt. Noch wenige Sprünge haben Theresa Harengerd und ihre Schwester Helena zu meistern, dann ist die Kür im Hobby Horsing vorbei. „Haltet durch, ihr habt es gleich geschafft“, ruft Trainerin Sandra Unger den beiden Teenagern zu, die in der Halle am Rheindamm in Altrip einen „Pas de Deux“ in Dressur vollführen. Mit keinen echten Pferden, sondern mit Hobby Horses – aus Stoff.
Von wegen Kinderspiel: Hobby Horsing ist eine schweißtreibende Sportart.
Knapp zweieinhalb Minuten dauert das schweißtreibende Programm der beiden Schwestern. Gerade die Dressur gilt als besonders anspruchsvoll, kommen zur rein sportlichen Komponente noch Synchronität und Harmonie als Kriterien hinzu. „Hobby Horsing verlangt körperlich, aber auch kognitiv und koordinativ einiges“, sagt Sandra Unger. Theresa nickt: „Das ist anstrengender als auf einem echten Vierbeiner. In einer Reitstunde macht man auch viel Theorie und putzt das Pferd.“ Beim Hobby Horsing hingehen ist man quasi Pferd und Reiter:in zugleich – was es besonders herausfordernd macht.
Die Steckenpferde der Mädchen sind so individuell wie ihre Besitzerinnen.
Wobei. So ganz stimmt das nicht mit dem fehlenden Pferd. Präzise gesagt: Es stimmt überhaupt nicht. Denn es gibt natürlich eines – aus Stoff. Denn mindestens genauso wichtig wie die sportliche Leistung ist das Hobby Horse selbst. Zu Deutsch: Steckenpferd. Dabei hat das Ganze nichts mit dem Spielzeug zu tun, das man aus Kinderzimmern kennt. Beim TuS Altrip, wo aktuell rund 40 Mädchen Hobby Horsing betreiben, sieht kein Pferd wie das andere aus. Möchte man eine hochwertige, filigrane, individuell gestaltete Version mit schick geflochtener Mähne, flauschigem Fell und möglichst vielen neckischen Details haben, legt man dafür bis zu 1000 Euro hin – wobei nach oben kaum Grenzen gesetzt sind.
Beim TuS Altrip...
trainieren aktuell rund 40 Mädchen Hobby Horsing.
Darunter die Schwestern Theresa und Helena,...
die heute für ihre Dressur-Kür trainieren.
Für ihre Tochter hat Sandra Unger 2021 den Sport nach Altrip geholt.
Der Trend kommt ursprünglich aus Finnland.
Doch mittlerweile gibt es Steckenpferde in vielen deutschen Turnhallen.
Der Sport ist kaum von seinem Internet-Hype zu trennen: Dass meist junge Mädchen auf Steckenpferden Dressurübungen vollführen oder über Hindernisse springen (Jungs werden beim TuS Altrip aber zugelassen), gehört seit einigen Jahren zu jeder gut sortierten Instagram-Timeline dazu. Laut Deutschem Hobby Horsing Verband gibt es hierzulande 5000 aktive Hobby-Horser, die in 230 Clubs und Vereinen registriert sind.
Hobby Horsing verlangt körperlich, aber auch kognitiv und koordinativ einiges
Trainerin Sandra Unger
Der Trend kommt aus Finnland und verbreitet sich seit Jahren rasant in der Welt. Inzwischen gibt es einige Verbände, die neben den schon länger existierenden Turnieren nationale und internationale Meisterschaften organisieren. In Altrip wird der „Cup der goldenen Möhre“ ausgerichtet, den der Gastgeber 2024 zum ersten Mal selbst gewinnen konnte.
Anspruchsvolle Disziplin: Bei der Dressur zählt Sportlichkeit, Synchronität und Harmonie.
Sandra Unger kümmert sich darum, dass die Sportlerinnen das Rüstzeug mitbekommen, um sich auf solchen Wettbewerben beweisen zu können. Viele ihrer Zöglinge haben schon Turniererfolge eingefahren – allerdings in Einzelwertungen ohne Vereinsbeteiligung. Dabei hat sich die noch sehr junge Branche strenge Regeln gegeben, die genauso streng bewertet werden. Die Ausführung der Übung, Streckung, Haltung – das alles fließt in die Bewertung einer Jury ein, die mit der Vergabe einer Punktzahl über die Endplatzierung entscheidet.
Äußerst geduldig, flauschig – und deutlich kostengünstiger als lebende Pferde.
Der Weltrekord im Springen liegt mittlerweile bei sagenhaften 1,59 Metern. Nicht ganz so offensichtlich athletisch ist die Dressur: Die Reiter:innen müssen gleichzeitig höchste Körperanspannung und Lockerheit demonstrieren, sich und das Steckenpferd ständig neu ausrichten, Gangart, Zügelstraffung, Schrittwechsel beherrschen. Zu beachten sind außerdem die Reihenfolge der Kür, Richtungs- und Gangartenwechsel, aber auch, dass die Bewegungen harmonisch zur Musik wirken. „Das ist ganz schön viel“, meint Theresa, die neben Hobby Horsing noch reitet und voltigiert, aber das Training in Altrip nicht missen will, weil sie das Herausfordernde des noch recht neuen Sports liebt. „Mir macht Hobby Horsing auch so großen Spaß, weil ich mir zusammen mit meiner Schwester eine Kür ausdenken kann, das Thema und die Musik.“
Geheimzeichen? Nein, Hobby-Horsing-Dressur auf Papier.
Die meiste Fitness erfordert das Springen: „Da haben wir jetzt die ersten Verletzungen und Probleme damit, sie richtig zu behandeln oder bestenfalls natürlich zu vermeiden. Viele der Bewegungen, die man beim Springen macht, werden so in der Sportwissenschaft gar nicht abgebildet und entsprechend gibt es auch keine Ansätze, wie man damit umgehen soll“, erklärt Sandra Unger, die im Berufsleben als „Provider Manager“ in der IT-Branche arbeitet. Jede Trainingsstunde beginnt daher erstmal mit ausgiebigem Warmlaufen.
Beliebter Sport: Die Warteliste beim TuS ist lang.
Eine halbe Stunde, bevor sie mit Helena und Theresa in den Einzelunterricht geht, bereitet Sandra Unger alles für das Training vor, schiebt das Rolltor zum Gerätelager des Vereins hoch und knipst den Lichtschalter an. 2021 hat sie selbst die Abteilung innerhalb des Stammvereins TuS Altrip gegründet. „Wegen meiner Tochter Amelie.“ Mittlerweile hat sich die Gruppe einen Namen gemacht, weit über die Grenzen Altrips hinaus.
„Über Hobby Horsing muss man wissen, dass es ohne Social Media gar nicht existieren würde“, erklärt Sandra Unger. In der Online-Welt werden vor allem Videos vom Training oder von Turnieren gepostet. Daher sind die Sportlerinnen den dort herrschenden Bewertungsanarchien ausgesetzt. „Für uns gehört daher auch mentales Training zum Sportprogramm dazu“, sagt sie: „Es geht darum, zur Ruhe zu kommen, kreisende Gedanken abzuschalten und den Fokus aufs Training zu lenken.“ Häme, Sexualisierungen – vor all diesen Dingen müsse man die Mädchen schützen. „Hast du die Kür selbst geschrieben?“, fragt Helena, als sie durch die Seiten von Ungers Ordner blättert. „Ja, genau gesagt 21 davon“, antwortet die Trainerin und löst bei Helena anerkennende Verblüffung aus. Was als Freizeitvergnügen anfing, ist zur Passion geworden.
Klares Statement von Sandra Unger und dem Verein: Hass hat beim Hobby Horsing keinen Platz.
Noch kommen die Mädchen aus Landau, Weinheim, Neustadt und teilweise von noch weiter her in die Sporthalle am Rheindamm, weil es keine Alternativen in der Umgebung gibt. „Es fehlen einfach die Trainer und Trainerinnen“, so Sandra Unger. Die Nachfrage gäbe es allemal: „Wir haben eine lange Warteliste“, sagt die Trainerin, während sie im Spind nach den Markierungszeichen für das Dressurrechteck sucht, das in Altrip an diesem Abend aus dem Außenbereich zwischen Trainingshalle und Fußballstadion besteht. Apropos Fußball: Als Unger 2021 Hobby Horsing in den TuS Altrip einführte, seien schon einige Augenbrauen nach oben gezogen worden. „Das Verständnis war sehr gering.“ Heute sei beim jährlichen Turnier die Halle aber voll. Hobby Horsing ist in den Herzen der Altriper:innen angekommen. Und in den Wettbewerbstabellen des Leistungssports.
Trainiert wird jeden Freitagabend ab 17.30 Uhr in der Halle am Rheindamm in Altrip. In der Regel werden Mädchen ab 9 Jahren aufgenommen, Jungs sind aber genauso eingeladen.
Ausflugstipps und interessante Geschichten über die Rhein-Neckar-Region gibt es regelmäßig in unserem Newsletter.
Und so geht’s: Geben Sie Ihre E-Mail Adresse in das Feld ein und klicken Sie auf abonnieren. Sie erhalten daraufhin eine automatisch generierte Nachricht an die von Ihnen genannte E-Mail Adresse, die Sie nur noch bestätigen müssen. Fertig!