Nylondirndl und Kühlschrankmagneten in schwarz-rot-gold … Auch wenn die Sortimente Heidelberger Touristen-Shops austauschbar wirken – in der Altstadt gibt es einen Ort, wie er individueller nicht sein könnte: In der Steingasse überrascht eine authentische Parallelwelt zur Postkartenfolklore.
Von der Heiliggeistkirche in der Altstadt zieht die Steingasse hinab zur weltberühmten Alten Brücke. Auf wenigen hundert Metern Kopfsteinpflaster kann es vor allem bei gutem Wetter ziemlich eng werden. Mit Knopf im Ohr dem Reiseführer lauschend und dem Selfiestick in der Hand, drängt die Besucherlawine Richtung Neckar – und in dieser Gasse erwartet man eigentlich alles andere als Lokale und Geschäfte, die mit Hingabe und Liebe zum Detail von ihren Inhabern geführt werden. Wer genau hinschaut, findet ein authentisches und erstaunlich harmonisches Biotop Heidelberger Altstadtlebens.
In der Morgenkühle sind die Glastüren im Casa del Café noch beschlagen. Innen ist es kuschlig warm und der Milchaufschäumer zischt – Casa-Macher Rudolf und Barista Flocki produzieren koffeinhaltigen Nachschub am laufenden Band. Schon früh morgens versammeln sich hier Menschen, die in Heidelberg nicht zu Besuch sind – sondern hier leben. Sie kommen zu einer Uhrzeit, zu der die Reisebusse aus Neuschwanstein noch auf bayrischen Autobahnen feststecken. Universitätsdozenten auf dem Weg zur Arbeit, prallen auf Kneipiers, denen die durchzechte Nacht noch in den Knochen steckt. Bei Croissant und Cappuccino wird lauthals diskutiert. Man streitet um die Tageszeitung, albert herum, erzählt sich den neuesten Tratsch.
„Mama, Mama, dem Bonbonmann sein Auto!“ Ein kleines Mädchen drückt sich aufgeregt die Nase an der Eingangstüre platt. Der Mann mit der Sonnenbrille im Haar, der aus seinem Lieferwagen steigt, heißt Jens Meier und ist Archäologe – zumindest war er das einmal. Heute interessiert das kaum noch jemanden, besonders nicht seine treu ergebenen Fans. Die gehen oft noch in den Kindergarten oder die Grundschule und lieben sein Geschäft: Die Heidelberger Bonbonmanufaktur.
„Ursprünglich bin ich zum Studieren nach Heidelberg gezogen. Nach dem Studium habe ich dann einige Jahre in der IT-Branche gearbeitet, aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr, nur vor dem Rechner zu sitzen.“ Jens Meier nimmt eine große Tasse Kaffee von Flocki, bevor er nebenan den Laden aufschließt. „Das mit den Bonbons war so eine Idee von mir, das musste ich ausprobieren.“