Warum das Mannheimer Stadtarchiv in den Ochsenpferchbunker gezogen und zum MARCHIVUM geworden ist.
Dunkelheit, nein, totale Finsternis. Wie mag es sich hier angefühlt haben, wenn draußen die Bomben fielen? Wie kamen die Menschen zurecht – untereinander, miteinander. Mit ihrer Angst? Gab es Panik, wenn auch noch an diesem Ort mit seinen meterdicken Wänden der Strom wegblieb, in jenen Luftschutzkammern aus den Jahren 1940 bis 1943? Ulrich Nieß steht im neuen Mannheimer MARCHIVUM und blickt in die Sonne. Und spätestens als das Licht den großzügigen, neuen Vortragsraum regelrecht flutet, sind sie sehr weit weg – die dunklen Bombennächte des Zweiten Weltkriegs.
Dabei war der Ochsenpferchbunker einst der größte Hochbunker in Mannheim. Für 3.412 Menschen, im Notfall sogar mehr als doppelt so viele. Selbst nach der NS-Zeit noch hatte er eine große Rolle gespielt: als Zufluchtsort während des Kalten Krieges, bis in die 90er-Jahre hinein. Und dann war aus dem Relikt düsterer Zeiten eine Problemimmobilie geworden. Unzugänglich, ungenutzt und so monumental, dass mit dem Betonklotz und seinen markanten Treppentürmen nur schwer etwas anzufangen war. Bis eine Idee in Ulrich Nieß keimte. „2013 hatten wir einen Wasserschaden“, erinnert sich der Leiter des Mannheimer Stadtarchivs an einen Morgen im Collini-Center, in dem das historische Gedächtnis seit fast drei Jahrzehnten untergebracht war. Zu Schaden kam dabei nichts und dennoch: „Wasser ist für Archivgut schlimmer als Feuer.“ Erst 2010 hatte sich der promovierte Historiker an einer beispiellosen Rettungsaktion in der Archivgeschichte beteiligt und Teile aus dem Kölner Stadtarchiv mitdigitalisiert. „Die Bilder von damals ließen mich nicht los.“ Und da sich die Stadt auf kurz oder lang ohnehin von ihrem Collini-Center trennen wollte, begann auch er auf die Suche zu gehen. Nach einem geeigneten, nach einem besonderen Ort.
Im März 2018 wurde das „MARCHIVUM“ eröffnet. Entwickelt hat den ungewöhnlichen Bau das Mannheimer Architekturbüro Schmucker, das einst die Idee zum Umbau des Bunkers in die Welt setzte und Hand in Hand mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG arbeitete, die ihn künftig an die Stadt vermietet – eine Win-Win-Situation für beide Seiten. 18,6 Millionen Euro wird das Projekt kosten, wovon der Bund 6,6 Millionen trägt, weil er es als „Nationales Projekt des Städtebaus“ wertet. Dafür hat Schmucker auf den Betonbau zwei verglaste Stockwerke für Büros, Besprechungszimmer und Vortragssaal aufgesetzt. „Tatsächlich hatten schon die Nazis eine Erweiterung geplant“, sagt Nieß und zeigt die Zeichnung eines HJ-Heims, für das man schon beim Bau des Bunkers einen Aufzugsschacht vorsah und die oberste Decke bewusst leicht zu öffnen ließ. Doch: Die Architekten von Schmucker mussten ohne Bauakte an die Arbeit gehen. Die aus der NS-Zeit war im Krieg verloren gegangen, der Bund hält seine aus der Zeit des Kalten Krieges bis heute geheim. So öffneten sich während des Umbaus an mancher Stelle regelrechte „Wunderkammern“ – mal mit 80 Tonnen Sand dahinter, der in Filterräumen dazu dienen sollte, die Luft im Fall eines atomaren Angriffs zu reinigen. Dann wieder mit winzigen Parzellen, die man nach dem Krieg für Familien, die ihre Bleibe verloren hatten, angelegt hatte. In den damals mehr als 400 Sozialwohnungen muss das Sonnenlicht unendliche Flure und meterdicke Wände weit entfernt gewesen sein. Und die Luft stickig und feucht.