WG-Zimmer sind oft teuer und schwer zu finden. Ganz besonders in Heidelberg. Auf einem ehemaligen Militärgelände der US-Streitkräfte haben Studierende und Auszubildende ihren Wohnraum deshalb selbst geschaffen. Das Collegium Academicum bietet Platz für rund 250 Menschen – und viel Freiraum.
Franziska Meier sitzt auf einer Terrasse in Heidelberg und redet gegen den Baulärm an. Vom Nachbargrundstück dröhnt schweres Gerät herüber. Die Umgestaltung der Heidelberger Konversionsfläche US Hospital ist in vollem Gange. Nebenan ragen Stahlstäbe in den Himmel. Es riecht nach Beton und Zement. In den Zimmern des Collegium Academicum (CA) fühlt man sich hingegen eher wie in einer gemütlichen Sauna: Holz an den Wänden und den Decken, auch außen dominiert helles Braun statt schnödes Grau. Gegen die Sonne lassen sich Holzgitter vor die Fenster schieben. Statt Schrauben verbinden Dübel und Bretter die Balken, die das Gebäude halten. „Wie in einem alten Fachwerkhaus“, sagt Meier – und dennoch ziemlich zukunftsweisend.
Ein Wohnheim aus Holz, von Studis angestoßen, geplant, gebaut und nun in Eigenregie verwaltet – das CA im Stadtteil Rohrbach ist in vielerlei Hinsicht besonders. 2013 spann eine WG in der Plöck die ersten Visionen. 2016 schaffte es das Projekt in die Internationale Bauausstellung (IBA) Heidelberg. 2023 zogen 176 Studierende, Promovierende und Azubis in den Neubau ein. 2024 weitere 80 Personen in ein Bestandsgebäude daneben. 375 Euro kostet ein WG-Zimmer im CA, deutlich weniger als sonst in Heidelberg. Und dafür gibt es nicht nur einen Privatraum, sondern jede Menge Gemeinschaftsflächen: Dachterrasse, Garten, Multifunktionsraum mit Küche, Werkstatt und natürlich die Aula, die Platz für mehr als 600 Menschen bietet, für öffentliche Veranstaltungen wie Lesungen, Podiumsdiskussionen und Partys. „Was hier alles passiert, ist beeindruckend“, sagt Franziska Meier, die das Projekt mitgegründet hat.
Als sie 2012 für ihren Master nach Heidelberg zog, fühlte sich die Historikerin in der Stadt schnell beengt. „Es gab viel weniger Freiflächen als in Erfurt, wo ich vorher gelebt hatte“, erinnert sie sich. Schon damals lud die Haus-WG, in der sie wohnte, regelmäßig zu Seminaren ein. Es ging um ökologischen Weinbau, Postwachstum oder Feminismus. Doch die Studis wollten mehr: Ein ganzes Wohnheim, das nicht nur ein Dach über dem Kopf bieten sollte, sondern einen Gestaltungsraum. Einen Ort, so ähnlich wie das Collegium Academicum, das es von 1945 bis 1978 in der Heidelberger Altstadt gab. Dort hatten Studierende, unter ihnen der Schriftsteller Rafik Schami, schon einmal selbstverwaltet gelebt, bis das Gebäude zugunsten der Universität zwangsgeräumt wurde. 2015 konzipierte Meier eine Ausstellung über die wechselvolle Geschichte des Wohnheims.
250 Studierende und Auszubildende leben im Collegium Academicum.
Das nach ihren eigenen Vorstellungen entstanden ist.
Das Haus ist aufgeteilt in mehrere Wohngemeinschaften.
Die Räume sind variabel...
....ihre Wände können verschoben werden.
Franzsika Meier und Ann-Sophie Behrle schätzen die Offenheit des Hauses.
Viel Arbeit, viele Möglichkeiten: Das Zusammenleben organisieren die Bewohner:innen selbst.
Der zentrale Gedanke damals wie heute: Die Bewohner:innen organisieren ihr Zusammenleben nach demokratischen Prinzipien selbst. Viel Arbeit – aber auch viele Möglichkeiten. Wer die Aula nutzen darf, ab wann Nachtruhe herrscht und wie sie damit umgehen, wenn jemand die Miete nicht zahlen kann, entscheiden die Bewohner:innen selbst. Aber auch die Nebenkostenabrechnung will gemacht sein, Reparaturen müssen erledigt werden, die Finanzierung stehen. „Wir machen alles, was sonst der Vermieter machen würde“, erklärt Ann-Sophie Behrle, die seit September 2023 im CA lebt. Sie studiert Germanistik im Kulturvergleich und Geographie und kümmert sich im CA zum Beispiel um die Auswahl der Neuen. Viermal im Jahr finden dafür Kennenlern- und Auswahltage statt. Am Ende entscheidet ein Mix aus Losverfahren, Punktesystem und Algorithmus, wer wo einzieht.
Seit ich hier lebe, habe ich gelernt, mit vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten – und dass meine Meinung nicht automatisch die beste ist
Bewohnerin Ann-Sophie Behrle
Zwei Stunden pro Woche sollte jede:r in die Selbstverwaltung investieren, so der Richtwert. Das wöchentliche Plenum kommt obendrauf: Dort treffen die Bewohner:innen alle wichtigen Entscheidungen – und zwar im Konsens. Am Ende muss man also nicht jede Entscheidung gut finden, aber zumindest mittragen können. Bis die Gruppe an diesem Punkt ist, wird oft lange diskutiert. Behrle schätzt diesen intensiven Austausch: „Seit ich hier lebe, habe ich gelernt, mit vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten – und dass meine Meinung nicht automatisch die beste ist.“ Franziska Meier ist selbst nicht mehr ins CA eingezogen, verbringt aber viel Zeit vor Ort und ist nach wie vor in der Geschäftsführung der GmbH, die sie und ihre alten Mitbewohner:innen gründeten, damit ihr Traum Wirklichkeit wird. Konsens, Transparenz und flache Hierarchien – das waren schon immer die Grundlagen, nach denen sie arbeiteten. Und auch Meier findet, dass es sich lohnt: „Ich glaube, weil wir so viel diskutiert haben, haben wir die besten Lösungen gefunden.“
Wie kreativ diese oft sind, zeigt sich zum Beispiel am Grundriss der Wohnungen – der ist nämlich flexibel. Die Wände können so verschoben werden, dass sich die WG-Zimmer von vierzehn auf sieben Quadratmeter verkleinern – und sich die gemeinsame Wohnküche entsprechend vergrößert. Gerade gehe der Trend zu kleineren Privaträumen, erzählt Behrle, die selbst auf sieben Quadratmetern wohnt. Sie sei ohnehin oft in anderen WGs und kaum in ihrem Zimmer. Und dann sind da ja noch die Gemeinschaftsräume. Weil die Studis und Azubis diese gemeinsam nutzen, brauchen sie relativ wenig Platz zum Wohnen: 26 Quadratmeter pro Kopf – 20 Quadratmeter weniger als im bundesweiten Schnitt.
Auch sonst gilt das Projekt in vielerlei Hinsicht als Leuchtturm: Es ist der erste Bau dieser Größe, der ganz ohne Stahlverbindungen in der Holzkonstruktion auskommt. Dafür wurde das CA unter anderem mit dem Holzbaupreis des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Wo Holz wegen Statik oder Brandschutz nicht in Frage kam, griff die Gruppe auf möglichst nachhaltige Alternativen zurück. Die Bodenplatte des Neubaus besteht zum Beispiel aus recyceltem Beton. Die Schränke, Tische und Betten für die WG-Zimmer hat die Gruppe entweder selbst gebaut oder gebraucht gesammelt – auch das Inventar aus dem Pavillon der Metropolregion Rhein-Neckar auf der Mannheimer Bundesgartenschau 2023 hat sie wiederverwendet.
Ohnehin entstand vieles in Eigenleistung. Knapp 30 Millionen Euro mussten sie für das Gesamtprojekt trotzdem aufbringen. Das Geld kommt aus Bankkrediten, Förderungen und sogenannten Direktkrediten, die Privatpersonen dem CA zu niedrigen Zinssätzen gegeben haben. 4,5 Millionen Euro kamen so zusammen – zwei Millionen hatte das Gründungsteam sich erhofft. Meier erinnert sich noch gut an die Anfänge, als sie und die anderen auf den Wochenmärkten in allen Stadtteilen für sich warben: „Ich finde es heute noch total verrückt, dass Menschen uns Geld gegeben haben, als wir nichts hatten außer einer Idee.“
Aber die war gut – und sie überzeugte schließlich auch die Stadt, die anfangs skeptisch war. „Wir waren eine Handvoll junger Leute, die mit großen Ideen daherkamen“, sagt Meier. Doch die Studis ließen nicht locker, sprachen bei allen Gemeinderatsfraktionen vor, besuchten praktisch jede Bürgersprechstunde des Oberbürgermeisters und erkämpften sich so das Grundstück im US Hospital inklusive zweier Bestandsgebäude. Auf dem Mendelejewplatz zwischen den Gebäuden finden regelmäßig Feste statt. Außerdem lädt das CA regelmäßig zu Führungen ein. Und man kann selbst anpacken: Die ehemalige Verwaltung haben die Bewohner:innen gerade mit der Unterstützung von vielen Freiwilligen saniert, das alte Parkett freigelegt, acht Wohnungen geschaffen (sechs davon im sozialen Wohnungsbau), dazu 50 weitere Plätze in Einzel- und Doppelzimmern, die jedes Jahr neu belegt werden. Dort leben die Teilnehmenden des „Falt*r“ – ein Orientierungsjahr zwischen Schule und Beruf, das die Gründer:innen des CA selbst gerne gemacht hätten.
Fehlt nur noch das alte Pförtnerhäuschen: Es soll zu einem offenen Treffpunkt werden. „Wir denken gerade über einen Anbau aus Stroh nach“, verrät Meier. Auch das wird seit Ewigkeiten verbaut – und gilt wie Holz als Baustoff mit Zukunft.
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