„Es war halt kein Männerberuf“: Richard Lang wurde trotzdem Modist – und denkt auch mit über 80 Jahren nicht an den Ruhestand. Der elegante Hutmacher fertigt in seinem Odenwälder Atelier seit Jahrzehnten ausgefallene Kopfbedeckungen.

Als Richard Lang das Schaufenster des Hutateliers seiner Mutter zum ersten Mal mit eigenen Entwürfen bestückte, fegte sie allesamt durch den Laden: Hier, im beschaulichen Walldürn, war die Zeit noch nicht reif für solch ausgefallenen Kreationen. Für all die „Flausen“, die er aus der Großstadt mitgebracht hatte, aus der Modeschule in München. Heute lacht er über diese Episode herzlich: „Ich habe den Laden damals umgekrempelt.“ Weiße und lilafarbene Persianerhüte, schwärmt Lang. „Das war eine Revolution.“ Trotz der anfänglichen Differenzen über die Gestaltung des Schaufensters – seine Mutter, die ihre Liebe zur Hutmacherei an den Sohn weitergegeben hatte, hielt immer zu ihm.

Früher als „Flausen“ beschimpft, heute für viele eine Reise in den Odenwald wert: Die Entwürfe von Richard Lang.

Inzwischen ist Richard Lang selbst über 80 Jahre alt – und verbringt noch immer viele Arbeitsstunden täglich in seinem Atelier in der malerischen Hauptstraße des Odenwald-Städtchens. Er ist elegant gekleidet, ganz in Schwarz. Abgesehen von den Farbtupfern durch rote Einsätze an den hochmodernen Schuhen. Dazu seine riesige Brille – ein Modell, mit dem er ohne Mühe Großstadthipstern Konkurrenz macht. Selbst die – natürlich selbst designte – Corona-Maske mit Mund- und Schnurrbart-Aufnäher wirkt bei ihm wie ein Modeaccessoire.

Macht selbst die Coronamaske zum Modeaccessoire: Richard Lang.

Lang fertigt Kopfbedeckungen für Frauen, der Verkaufsraum ist ein Paradies für Hutliebhaberinnen. Im Regal mit den roten Modellen sticht ein Exemplar mit einem großen Blatt für den Herbst hervor. Filigranes Handwerk statt Pomp. In den Schubladen warten Accessoires wie Blüten und außergewöhnlich gemusterte Stoffe darauf, Frauenköpfe zu schmücken. Doch es gibt noch viel mehr als das Offensichtliche: Im Schrank liegt die Sommerkollektion im Winterschlaf. Strohhüte und Baumwollexemplare stapeln sich darin. Eines der Modelle zum Sonnenschutz hat Richard Lang mit pastellfarbenen Nähten versehen, sie bilden ein kunstvolles Muster. Wie viele Hüte er in seinem langen Berufsleben hergestellt hat? Lang zuckt nur mit den Schultern. Es sind unzählige – und es sollen noch viele mehr werden. Ruhestand ist keine Option.

Und doch hatte er in jungen Jahren mit seiner Leidenschaft gehadert: „Es war halt kein Männerberuf. Ich wollte das nach außen, vor Freunden, nicht zugeben.“ Stattdessen sollte er eine Ausbildung bei der Bank machen, wurde jedoch krank. Auch eine klassische Lehre zum Modisten hat Richard Lang nicht absolviert, sondern das Handwerk bei seiner Mutter gelernt. Weil er danach ausreichend Kenntnisse mitbrachte, durfte er die Gesellen- und später, 1963, die Meisterprüfung ablegen. Doch noch vor diesen Prüfungen hatte er auch andere Betriebe kennengelernt, etwa die Firma „Samt und Seide“ in Mannheim. „13 Mädchen arbeiteten dort – und ich, der Bauernjunge. Die Direktrice hat mich gequält“, erzählt er. Seinen ersten Hut habe sie auf den Boden geworfen und darauf herumgetrampelt, weil er ihr nicht gefiel.

Richard Lang mit einem aktuellen Entwurf – dahinter in der Vitrine sein Lehrstück aus Stroh.

Von alten Zeiten erzählt auch eine Vitrine in seinem Atelier. Darin hängt ein kleiner Strohhut – sein Lehrstück. Er ist mit Früchten aus Stoff geschmückt, darunter Weintrauben. Jedes dieser Details hat Richard Lang selbst genäht. Daneben steht ein beiger, ausladender Hut mit großen Punkten in Schwarz und Rot. Ein Blickfang, keineswegs alltagstauglich. Doch wer besondere Hüte herstellt, hat auch besonderes Publikum: „Viele Frauen, die Hüte tragen, stehen gerne im Mittelpunkt“, sagt Richard Lang. Er könnte wohl im wahrsten Wortsinn aus dem Nähkästchen plaudern, doch dafür ist er viel zu diskret.

Den Mut haben immer weniger – doch Richard Lang nimmt es gelassen.

In den 1980er Jahren arbeitete Lang für große Firmen und Designer, stattete Modenschauen auch in Frankreich oder den USA aus. Dass die Kopfbedeckungen seitdem aus der Mode gekommen sind, nimmt er gelassen. „Die Zeit hat sich eben geändert. Man zieht sich wohl noch gut an, aber man macht sich nicht mehr so schön.“ Alles sei eher gleich geworden: „Alle tragen Jeans, alle tragen Steppjacken.“ Dazu passt er nicht mehr, der Hut, ein Zeichen von Individualität. Wenn heute junge Frauen ins Geschäft kämen, müsse er ihnen lang und breit erklären, dass er zwar jeden Hut auch in Rot machen, hier aber nicht eine Auswahl wie im Kaufhaus zum sofortigen Mitnehmen anbieten kann. Denn zunächst einmal sind es Unikate: der Regenhut aus Kunstleder mit den aufgenähten Wassertropfen. Oder das eigentlich schlichte Modell mit Applikationen aus Kroko-Leder.

Trotz des Niedergangs der Hutmode hat Richard Lang immer zu tun. Es ist kein Geschäft für Laufkundschaft, es lebt von den Stammkundinnen. Sie kommen aus Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart oder Pforzheim in den Odenwald. „So wie es Menschen gibt, die Schuhe anhäufen, gibt es auch welche, die Hüte sammeln“, sagt Lang. Er kenne Frauen, die mehr als 300 Exemplare besitzen. Sie habe ein Hutzimmer, erzählte eine Stammkundin einmal. Es sei eher eine ganze Wohnung, erklärte ihr Mann daraufhin.

Die Hände wissen, was sie tun müssen: Auch mit über 80 Jahren sitzt bei Richard Lang jeder Handgriff.

Im Hinterzimmer des Verkaufsraums befindet sich das eigentliche Atelier: ein schmaler Raum in L-Form. Der Modist hält Filz an den Dampfapparat und zieht ihn mit geschickten Handgriffen über einen Holzkopf. Lang hat seit Jahren Parkinson, doch beim Hutmachen werden seine Hände wieder ganz ruhig. Schon nach wenigen Arbeitsschritten nimmt das Textil erste Form an, wird zur – noch schlichten – Kopfbedeckung. „Es tut mir sehr leid, dass Filz nicht mehr so gefragt ist“, bedauert Lang. Er streicht über das Material, dessen Vielseitigkeit er so liebt. Aber es sei eben auch etwas sperrig. „Das passt nicht zum Zeitgeist, heute soll alles locker und bequem sein.“ Wenn seine Mutter hören würde, dass Leute ihre Hüte heute gerne waschen würden… Richard Lang lacht wieder schelmisch. Er arbeitet an mehreren Projekten: an Stirnbändern, einem Turban, an Alltagsmasken gegen das Coronavirus. Das Nähen liebt er bis heute nicht – umso mehr das Designen.

Der Walldürner hat in seiner Karriere an vielen Hutmacher-Wettbewerben teilgenommen, zahlreiche Medaillen gewonnen. Für ihn war das ein Ausgleich zum Alltagsgeschäft. Manchmal bricht er noch heute aus. „Wenn ich immer vernünftig bleibe, werde ich stumpfsinnig.“ Erst 2019 hat er für eine Kunstausstellung Hüte aus Papier, Gips und Draht hergestellt, die in einer Galerie in seinem Heimatort ausgestellt wurden. Doch trotz aller Unvernunft, wie er es nennt, ist Richard Lang immer ein „Freund der einfachen Modelle“ geblieben: von Hüten, die alltagstauglich sind, auch hier im bodenständigen Odenwald.

Das Hutatelier erzählt auch Familiengeschichte(n).

Das Geschäft ist in siebter Generation in Familienhand. Bevor Richard Lang es Anfang der 1970er Jahre übernommen hat, waren es immer Modistinnen, die hier arbeiteten. Früher hießen sie noch Putzmacherinnen. Weil sie Mode herstellten für diejenigen, die sich besonders herausputzten. Ein schönes Wort mit unschönem Beigeschmack: Die Nazis führten die Bezeichnung zwischenzeitlich wieder ein, um den französischstämmigen Begriff „Modist“ zu verbannen, erzählt Richard Lang, der zwar vier Kinder und zwei Enkelinnen hat – dennoch wird mit ihm die Familientradition in Walldürn wohl enden.

Rente? Für Richard Lang und Frau Viktoria, die ihn im Laden unterstützt, keine Option. „So bleiben wir aktiv, das hält uns jung.“

Bis dahin steht Viktoria, seine 14 Jahre jüngere Frau, allerdings voll dahinter, dass ihr Mann nach wie vor den Laden betreibt. „So bleiben wir aktiv, das hält uns jung“, findet sie. „Mein Mann macht die Hüte, ich schreibe die Rechnungen.“ Sie trägt gelegentlich Hut. „Nicht immer, aber wenn ich Lust darauf habe. Ich bin allerdings eher der Herrenhut-Typ“, sagt sie. Und ihr Mann? Der greift eher zur Mütze. „Mit Hut sehe ich aus wie ein alter Mann. Da fehlt dann nur noch der Mercedes.“


www.hutatelier-lang.de

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