Schon ihr Vater liebte Herausforderungen: Er pflanzte seine Reben dort, wo sich andere Winzer nicht hintrauten. Auch Kuratorin Theresia Kiefer hat viel gewagt und in der Ludwigshafener Innenstadt zwischen Hackmuseum und Philharmonie einen riesigen Museumsgarten angelegt. Für alle.

Herrlich, dieser Beton. In den Sommermonaten muss die Hitze über den Ludwigshafener Hans-Klüber-Platz geflimmert sein, wie in der Sahara. Nur eine Fata Morgana waren die tristen Zweckbauten ringsum leider nicht. Das bullige Arbeitsamt direkt gegenüber, davor Mülleimer, ein Brunnen, der nicht funktionierte – Theresia Kiefer konnte noch so lange von ihrem Bürofenster aus auf diesen Ort schauen, die Tristesse blieb. Kein Grün, kein Platz, an dem man gern länger verweilen wollte.

Heute ist das anders. Denn der Brennpunkt von einst ist so etwas wie ein Vorzeigeprojekt des Miteinanders, ein riesiger Garten inmitten der Stadt geworden. Den es ohne Theresia Kiefer ganz sicher nicht gäbe, denn sie hatte 2012 überhaupt die Idee, das Grau zu begrünen, diesen Platz zu bevölkern mit Bäumen und Blumen, Bürgern und Bienen. Nicht nur, aber auch im Dienste der Kunst – denn jahrelang hatte die Kuratorin zuvor aus dem Fenster ihres Büros im Wilhelm-Hack-Museum auf den Klüber-Platz geblickt. Natur und Kunst – gibt es da einen Zusammenhang? Mit Blumenmotiven hat der Hack-Garten zunächst wenig zu tun.

„Vielleicht ist er so etwas wie eine soziale Skulptur“, sagt Theresia Kiefer und lacht – Beuys hätte dieser Garten ganz sicher gefallen.

Joseph Beuys hätte dieser Garten ganz sicher gefallen. Nicht nur, weil er selbst gern pflanzte, säte und erntete. Sondern auch, weil hier die Menschen zusammenkommen und mit ihren Ideen einen lebendigen Organismus für alle schaffen.

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Dort, wo einst die Sahara-Hitze flimmerte, wachsen heute Tulpen, Schnittlauch und Primeln in den Himmel. Der Mannheimer Künstler Rudolf Graap hat aus Kronkorken, Plastikflaschen und Fahrradspeichen einen „Rest- Art-Brunnen“ gebaut, das Ludwigshafener Kinder-Eltern-Haus aus Kinderbetten Blumenbeete und aus Weiden ein Clematis-Iglo errichtet. Es gibt einen riesigen begehbaren Blumentopf des Bildhauers Rainer Ecke, bepflanzte Schränke, Gummistiefel, Einkaufswagen, Plastikkübel und Wäschekörbe. Dazu eine Pflanzbar, auf der im Sommer auch schon mal gekocht wird, türkisch oder thailändisch, je nachdem, was der Garten gerade hergibt.

„Urban Gardening“ nennt man das Konzept, das im Grunde genommen nur drei Regeln hat: Erstens, der Garten, der hier bepflanzt wird, muss Teil des öffentlichen Raums sein und „mobil“ bleiben. Zweitens, verwendet wird am besten das, was anderswo nicht mehr gebraucht wird. Und drittens, abgeschlossen wird er nie, denn er gehört allen.

Frau in Mitten vieler grüner Pflanzen

Genau dieser Punkt hatte Theresia Kiefer zunächst Sorge bereitet. „Sie können ihre Blumenkübel bald in der Fußgängerzone abholen“, wurde ihr prophezeit. Wer würde sich außerdem dauerhaft an solch einem Projekt beteiligen? Doch die Kuratorin beschloss, es einfach zu versuchen: Sie sprach Sponsoren an und Vereine, organisierte Erde, Gefäße, einen Wasseranschluss und, vorsichtshalber, auch einen Bauzaun, der heute eher eine psychologische Barriere denn eine wirkliche Begrenzung ist und zudem einen Hintereingang hat. „Das einzige, das hier manchmal geklaut wird, sind unsere Tomaten“, sagt die Kuratorin, die mit ihrem Mann und Sohn in Mannheim lebt – in einem Mehrfamilienhaus mit Gemeinschaftsgarten.

Zu futtern gibt es aus den „Naschbeeten“ der Hack-Gärtner reichlich. Erdbeeren und Feigen, Äpfel, Kürbisse und Kräuter. Und eine Tasse Kaffee dazu, dafür hat nicht zuletzt Bernd Werz gesorgt: Als eine riesige Skulptur von François Morellet von Ludwigshafen aus auf den Weg nach Paris ging und aus dem Grand Palais in einer noch riesigeren Transportkiste ins Hack-Museum zurückkehrte, kam ihm die Idee. Der ehemalige Restaurator des Museums baute mit einigen Helfern das Holzungetüm in ein mobiles Café um, das die Gärtner nun gemeinsam betreiben. Darauf erinnern bunte Farbfelder an den schönen Mondrian, den das Hack-Museum nebenan besitzt. Und an die wunderbare Skulptur von Max Bill, die direkt am Garten in den Himmel ragt.

Kinder vor Kunstwerk

Inzwischen gibt es vier Gemeinschaftsgärten in Ludwigshafen. Zudem mindestens drei auf der anderen Seite des Rheins in Mannheim. Der wohl bekannteste „Urban Garden“ war 2009 in Berlin entstanden: die Prinzessinnengärten in Kreuzberg. Auf sie folgten Gärten wie an der Kunsthalle in Baden-Baden. Meist ein paar Monate lang – dann folgte auf die Blumenkübel ein neuer Trend. Nicht so in Ludwigshafen. Geplant war der Hack-Garten hier auch zunächst für einen Sommer.

„Es hat einfach ein Platz wie dieser gefehlt“, sagt Theresia Kiefer. Ein Ort, mit dem sich die Ludwigshafener identifizieren – in einer Stadt, in der das Miteinander von Hoch- und Schnellstraßen oft zerschnitten wird.

Das Besondere an Theresia Kiefers Gartenprojekt ist auch das Programm: Auf einer Holzbühne treten Musiker auf, man feiert polnische oder thailändische Sommerfeste mit Tanz und Folklore und zum Internationalen Museumstag gibt’s Knubbelgemüse bei einer Schnippeldisko: Während ein DJ Musik auflegt, zerlegen die Gärtner gemeinschaftlich Übriggebliebenes vom Biobauernhof – Ehrensache, dass am Ende gemeinsam gegessen wird.

Warum etabliert man den Hack-Garten eigentlich nicht dauerhaft dort, wo Tag für Tag Rentner und Hausfrauen, Studenten und Schüler, Künstler und Köche zusammenkommen – den Klüber-Platz von einst vermisst doch wohl niemand? „Der Boden unter dem Garten ist vermutlich belastet“, sagt Kiefer – einst hatte es hier eine Industriefläche gegeben. Vielleicht ist das aber auch der besondere Charme dieses Ortes, in dem das Unperfekte zelebriert wird. Und Improvisation zum Programm dazu gehört.

Auch Theresia Kiefer hat ein Beet für sich und ihren Sohn Philipp. Ihre Familie stammt aus St. Martin in der Pfalz. Und weil ihr Vater Winzer war, wächst in dem winzigen Hack-Garten der Kiefers ein Weinstock. Bevor sie ans Hack-Museum kam, hatte sie einige Zeit eine eigene Galerie. Ein Wagnis, auch damals. „In manchen Dingen sind wir uns vielleicht nicht unähnlich“, sagt Theresia Kiefer nachdenklich über ihren Vater: Mit Seilwinden und selbstkonstruierten Wasseranlagen hatte er früher Steillagen beackert, an die sich sonst keiner seiner Kollegen traute. „Den Erlös hat er dann für gute Zwecke gespendet“, erinnert sich die Kunsthistorikerin. Sich für andere zu engagieren – diesem Anspruch widmete sie 2015 sogar eine Ausstellung. „Helden der Stadt“ dokumentierte im Ernst-Bloch-Zentrum, wie und warum Menschen ihre Stadt verändern. Sei es als Pilzzüchter, Künstler oder eben Gärtner. Eigentlich hätte die Kuratorin dann selbst Teil dieser Ausstellung werden müssen.


wilhelmhack.museum

hackmuseumsgarten.blogspot.de

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