Das Heidelberger Schloss scheint jeder zu kennen – zumindest aus der Ferne oder von Postkarten. Doch erst der Besuch dort oben und spannende Themenführungen machen die wechselhafte Geschichte der berühmten Ruine erlebbar.

Die Wendeltreppe führt rauf auf den Dicken Turm. Kurfürst Ludwig V. hat ihn im 16. Jahrhundert errichten lassen – fast 40 Meter hoch, die Mauern sieben Meter dick. Von der Stadt aus wirkt der Dicke Turm massiv und bedrohlich. Und das sollte er auch. Denn „Ludwig der Friedfertige“ war sich sicher, dass nur Furcht den Frieden erhalten könne. Heute fürchten sich in der Turmruine höchstens angehende Bräutigame: Männer, die ihren Partnerinnen von hier oben aus „die ganze Stadt zu Füßen legen“, wie Andrea Roth schwärmt, eine von drei Geschäftsführerinnen des Service Center Schloss Heidelberg.

Abends im Licht des Sonnenuntergangs über der Rheinebene, sagt sie, sei das Schloss „wildromantisch“. Und bei der Führung für angehende Hochzeitspaare hielten es die Männer vor Aufregung meist höchstens 30 Minuten aus. Dann gehe es rauf auf den Dicken Turm – und, wenn alles glatt läuft, direkt weiter auf Wolke 7.

Sie lieben ihren Beruf: Die drei „Schlossherrinnen“ Reglindis Schulte-Tigges-Dettbarn, Andrea Roth und Birte Mardeck (v.l.)

Dass so viel Romantik hier möglich ist, dafür ist Andrea Roth gemeinsam mit Birte Mardeck und Reglindis Schulte-Tigges-Dettbarn zuständig – seit fast 20 Jahren sind die drei Frauen ein eingeschworenes Team. „Im Auftrag der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württembergs“ arbeiten und organisieren sie nicht nur die Heidelberger Schlossführungen, sondern auch Touren in den Schlössern von Mannheim, Schwetzingen und anderen historischen Orten in der Metropolregion. Allein 2017 waren es mehr als 12.000 Schlossführungen, die bis zu 200 speziell dafür ausgebildete Mitarbeiter beschäftigen.

„Der Anspruch der Touristen hat sich verändert“, sagt Birte Mardeck. Neben den Standard-Touren seien vor allem die Themenführungen gefragt: zu Charles de Graimberg etwa, einem Franzosen im Exil, der einst das Schloss rettete, indem er sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts für dessen Erhalt einsetzte. Oder die Tour „Madame sein ist ein ellendes Handwerck“, die das Leben von Liselotte von der Pfalz erzählt, der Schwägerin des französischen Sonnenkönigs.

Das Heidelberger Schloss heute: ein wilder und faszinierender architektonischer Mix.

Viele Gäste wollen mehr über den „Rittersprung“ erfahren: Ein Abdruck im Sandstein des Großen Altans, der von einem Schuh stammen könnte. Der Legende nach soll sich eine Hofdame mit einem Edelmann vergnügt haben. Als die beiden beim Liebesspiel erwischt wurden, sprang der Ritter aus dem Fenster – und kam mit einer solchen Wucht auf, dass sich der Schuh seiner Rüstung im Schlossboden verewigte. Spannend ist auch die Geschichte um den Riss im Eisenring am Torturm: Eine Hexe soll versucht haben, ihn zu durchbeißen, um so in den Besitz des Schlosses zu gelangen. Glücklicherweise erfolglos.

Der „Rittersprung“: Ein kühner Ritter soll einst diesen Abdruck im Sandstein hinterlassen haben, als er aus einem Fenster des Friedrichsbaus sprang.

Geschichten wie diese erfahren die Besucher auch von Experten in historischem Gewand. Die drei „Schlossherrinnen“ schicken sie unter anderem mit dem kurfürstlichen Nachtwächter durch die Ruine – oder „mid’m Waschweib“: Das kann heiter werden, denn was heute der Klatschreporter ist, das war früher das Waschweib. Gelegentlich heißt es auch „Willkommen bei den Stuarts“: über eine englische Prinzessin am Heidelberger Hof. „Das war zwar eine politisch arrangierte Ehe“, erklärt Reglindis Schulte-Tigges-Dettbarn beim Gang durch den Englischen Bau des Schlosses, „aber sie haben sich ineinander verliebt.“

Die Kunsthistorikerin stammt aus dem Taunus, hat in Berlin studiert und früh bemerkt, dass es ihr liegt, Kunst zu vermitteln. Sie gründete eine Agentur für Kulturmanagement und begann thematische Stadtführungen zu konzipieren. Private Gründe führten sie nach Heidelberg, wo Ende der 80er Jahre eine Ausstellung über Liselotte von der Pfalz lief. Sie begann mit Sonderführungen durch Schwetzingen und Heidelberg – und so kam sie zum Schloss.

Die erste Residenz der Kurfürsten von der Pfalz entstand hier im 13. Jahrhundert. Aus einer mittelalterlichen Burg wurde ein repräsentatives Schloss, das heute zu den bedeutendsten Kulturdenkmälern Deutschlands gehört. Ein wilder architektonischer Mix, denn fast jeder Kurfürst fügte dem Schloss ein Bauwerk in einem anderen Stil hinzu. Der Ruprechtsbau entstand in gotischer Bauweise zu Beginn des 15. Jahrhunderts, der Ottheinrichsbau gilt als Meisterwerk der Renaissance aus dem 16. Jahrhundert. Anfang des 17. Jahrhunderts folgte der Friedrichsbau im Stil der Spätrenaissance mit üppiger plastischer Ahnengalerie, wenig später der schnörkellose Englische Bau, der viel schlichter daherkommt. All diese imposanten Gebäude fallen jedoch teilweise der Zerstörung zum Opfer. Im 17. Jahrhundert toben der 30-jährige Krieg und der Pfälzische Erbfolgekrieg. In mehreren Anläufen sprengen französische Truppen die Mauern. Das Schloss verfällt – und als es 1764 nach Blitzeinschlägen ausbrennt, haben die Kurfürsten ihre Residenz längst ins benachbarte Mannheim verlegt.

Birte Mardeck läuft jeden Morgen aus der Altstadt hoch zu ihrem Arbeitsplatz und genießt den immer wieder beeindruckenden Ausblick auf ihre Wahlheimat Heidelberg. Sie ist das Nordlicht im Team, ist aus Husum nach Heidelberg zum Studium gekommen. Ein Leben ohne Schloss, „das das gesamte Stadtbild prägt“ – für sie nicht vorstellbar. Andrea Roth, die Dritte im Bunde, ist bei Darmstadt geboren und hat ihr „Herz in Heidelberg verloren“. Vielleicht sei es doch die Sehnsucht nach dem Prinzessinnen-Dasein, sagt die Kunsthistorikerin und lacht. Heidelberg? Ist für sie eine „romantische Diva“.

Das Projekt verlangt von den drei Chefinnen viel Improvisationstalent und Einfühlungsvermögen. Ständig wollen neue Ideen für Themenführungen entwickelt werden und ihre Mitarbeiter sind so unterschiedlich wie die Touren, die sie anbieten. Unter ihnen sind Historiker, Lehrer, Ärzte und Rentner. Ein vielseitiges und gut funktionierendes Team ist wichtig, denn das Schloss lockt rund 1,2 Millionen Besucher pro Jahr und es gibt Tage in der Hauptsaison, da stehen allein in Heidelberg 50 Führungen an.

Auch nach 18 Jahren ist das Schloss ein besonderer Arbeitsplatz. Die Frauen schwärmen: vom Frühjahr, wenn es langsam grün wird am Berg. Vom Sommer, wenn der stechend blaue Himmel durch die Fenster der Ruinen schimmert. Vom Herbst, wenn die Blätterpracht so gut zum roten Sandstein passt. Und vom Winter, wenn der Hof leicht verschneit im Nebel liegt.

Die drei Chefinnen sind Schlossherrinnen, die ihren Beruf lieben – im uralten Mauerwerk des Heidelberger Schlosses, in dem das Leben täglich neue Geschichten schreibt: von abenteuerlichen Liebesbekundungen, blassen Anwärtern, überambitionierten Schwiegermüttern, von Rosenblättern, von skurrilen Sonderwünschen und Heiratsanträgen „mit 100 prozentiger Erfolgsquote – bislang…“


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