Einfach mal einen Baum umarmen, Sauerklee probieren, auf die Suche nach kleinen Löwen gehen: Beim Waldbaden in der Pfalz findet Natur- und Wildnispädagogin Ina Schmitt Kraft und Ruhe. Eine Wanne braucht sie dafür nicht.

Wenn Ina Schmitt in den Pfälzerwald eintaucht, passiert das ganz bewusst. Dann atmet sie tief durch, fühlt sich, als beträte sie „eine Kathedrale“. Sie läuft nicht schnell, als sie den Weg vom Forsthaus Lindemannsruhe Richtung Heidenfels einschlägt. Sie schlendert. Etwas, das die 55-Jährige auch erst lernen musste – genau wie all die anderen, die sie mit ins Grüne nimmt: gestresste Städter etwa, die dem hektischen Alltag für eine Weile entkommen wollen. Singles in Gruppen, auf der Suche nach einem naturverbundenen Partner. Oder gesundheitsbewusste Wanderer auf Fastenkur. Ina Schmitt ist Natur- und Wildnispädagogin – und hat das Baden für sich entdeckt: das Waldbaden.

Natur- und Wildnispädagogin Ina Schmitt.

Dafür bedarf es weder Wanne noch Bikini. Stattdessen braucht es vor allem Ruhe. Die finden Wanderer auf einer Anhöhe im Landkreis Bad Dürkheim. Dabei wurde das Waldbaden weit, weit entfernt von hier „erfunden“. Es kommt aus Japan, wo es Shinrin Yoku heißt. Ina Schmitt erklärt: Schon 1982 habe die staatliche Forstbehörde dort angeregt, Ausflüge in den Wald als Bestandteil eines guten Lebensstils zu verstehen. Zum Waldbaden, wie sie es betreibt, gehören Entspannungs- und Wahrnehmungsübungen. Sie lässt Kursteilnehmer zum Beispiel barfuß laufen, Geräusche sammeln oder die Walddüfte bewusst einatmen. Wissenschaftler, weiß die Expertin, vergleichen die Zeit hier draußen auch mit einer Art Aromatherapie, die Stress entgegenwirkt und das Immunsystem stärkt.

Stress – davon hatte Ina Schmitt genug, als sie vor rund 15 Jahren entschied, ihr Leben zu ändern. Die gelernte Europasekretärin arbeitete in Vertrieb und Marketing. Sie war um die 40, ständig im Dienst, ständig erreichbar. Und irgendwann völlig ausgebrannt. „Ist das jetzt wirklich alles?“, fragte sie sich. Ihre Antwort war „ein klares Nein“. Eine Auszeit führte sie immer wieder in die Natur – auf der Suche nach einer weiteren Antwort. Wie soll es weitergehen? Die Bäume, sagt sie, wiesen ihr den Weg. „Sie haben mir gesagt: Bring die Leute in den Wald.“ Ina Schmitt belegte eine Fortbildung an der Natur- und Wildnisschule Teutoburger Wald und ließ sich zusätzlich zur Fasten-Wander-Leiterin ausbilden.

Hier im Pfälzerwald kennt Ina Schmitt die Bäume, ihre Eigenschaften und Eigenheiten: Die Fichten, denen es vor allem wegen des Hitzesommers 2018 nicht sehr gut gehe. Die resistenteren Buchen und Kiefern, die Wärme mögen. Sie zeigt die Esskastanie, den „typischen Vorderpfälzer Baum“ mit seinen länglichen, gezackten Blättern. „Esskastanien wurden von den Römern hergebracht“, erklärt Ina Schmitt. „Genau wie die Weinreben.“ Sie lauscht dem Rauschen des Windes in den Wipfeln. Und entdeckt ständig neue Details: Sauerklee, dessen hellgrüne Blätter auf dem dunklen Moos eines Baumstumpfes leuchten – und essbar sind. Hunderte kleine Spinnen, wohl gerade geschlüpft, die sich „wie auf einer Autobahn“ über einen seidenen Faden in einer Kolonne aufmachen ins Abenteuer Waldleben. Lila blühender Fingerhut, dessen Blüten bei näherer Betrachtung einen in eine Wunderwelt eintauchen lassen. „Sei mit dem Finger auf der Hut“, erklärt sie noch, denn diese Pflanze sei äußerst giftig, und fügt hinzu: „Je mehr man seine Sinne öffnet, desto mehr Begeisterung und Freude vermittelt einem der Wald. Nach und nach entwickelt man auch ein Gefühl der Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass wir auf dieser Erde leben dürfen. Und das wiederum führt zu Zufriedenheit und Glücksempfinden.“

Wer im Wald „badet“, lernt auch, Dinge zu sehen, die er vorher nicht bemerkt hätte.

Ina Schmitt beobachtet nicht nur die Natur sehr genau, sondern auch die zunehmende Umweltverschmutzung und den gesellschaftlichen Wandel. Und sie beschäftigt sich mit Chancen und Risiken der Digitalisierung. Obwohl sie auf vieles davon schimpft, will sie es nicht alles bremsen: Sie nutzt selbst eine Wanderkarten-App oder soziale Medien, um sich mit anderen Menschen zu vernetzen oder um für ihre Touren und ihr Buch über die „heilsame Kraft des Waldes“ zu werben. „Es ist aber wichtig, dass man zwischendurch in der Natur Kraft tankt“, findet sie. Viele Leute kämen nicht mehr mit in dieser schnellen, künstlichen Welt. Im Pfälzerwald finden sie Erholung. Auch länger: Sie verweist dabei auf die inzwischen 15 Trekkingplätze im Naturpark, wo kleine und große Abenteurer sogar für eine Nacht wirklich einmal ganz im Wald abtauchen können.  „Der Wald ist ein Ort, der mich zu mir selbst bringt“, sagt Ina Schmitt. Davor hätten viele Angst: vor der Stille, davor, sich plötzlich mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen.

Ina Schmitt kann auch über ihre tiefe Verbundenheit mit dem Wald lachen: Gerne erfülle sie das Klischee, sagt sie – und streichelt sanft über die raue Rinde eines mächtigen Baums. Natürlich lasse der sich umarmen. Sie betrachtet ihn als Sinnbild: gut verwurzelt, aufrecht stehend, lässt sich so schnell nicht umwerfen. Da bekomme der Betrachter selbst Energie, sich wieder aufzurichten. Und neuen Mut, wie etwa beim Anblick eines weniger kräftigen Baumes, der sich trotz widriger Bedingungen auf felsigem Untergrund mühselig Richtung Sonne streckt. „Er sendet eine Botschaft aus“, sagt die Wildnispädagogin. „Streng dich an, du schaffst das.“

Hier, am Naturdenkmal Heidenfels, prägen gewaltige dunkelrote Sandsteinfelsen das Bild. Ina Schmitt liebt die verschiedenen Strukturen, die die Jahrtausende in den Stein gezeichnet haben. Genau wie die Lichtspiele, die Sonnenstrahlen durch Blätterdach und Geäst auf den Waldboden werfen. Vor mehr als 200 Millionen Jahren lag die Pfalz etwas oberhalb des Äquators, erklärt die Wald-Expertin. Heißes Wüstenklima sorgte für den feinen Sand, aus dem die Felsen entstanden sind. Oberhalb des Gesteins, das auch Bouldersportler anzieht, liegt eine Lichtung mit einer Bank zum Rasten. Möglicherweise wurden hier einst Opferrituale abgehalten, sagt Ina Schmitt über den Namen „Heidenfels“: „Die Kelten waren in den Jahrhunderten vor Christus auch in der Pfalz angesiedelt.“

Von der Vergangenheit zurück ins Hier und Jetzt: Wanderer können den Blick über die dichtbewachsenen Berge des Pfälzerwaldes schweifen lassen. Für die Wildnispädagogin ein perfekter Ort zum Krafttanken.

Wer im Wald „badet“, lernt auch, Dinge zu sehen, die er vorher nicht bemerkt hätte. „Hier leben sogar Löwen“, schmunzelt Ina Schmitt und stichelt mit einem Holzstäbchen in die kleinen Einbuchtungen, die sich im Sand unterhalb eines Felsens befinden. So imitiert sie Ameisen, auf deren Jagd sich der „Löwe“ mithilfe von sogenannten Fangtrichtern begibt. Diesmal ist er allerdings schon satt oder zu träge, lässt sich nicht blicken. Gefährlich kann er den Wanderern ohnehin nicht werden: Beim Pfälzer Ameisenlöwen handelt es sich um eine kleine, harmlose Larve der Ameisenjungfer.


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