Von wegen Schall und Rauch

Die Sonne steht schon hoch über den Hügeln, der Wind raschelt durch die mannshohen Tabakstauden. Männer und Frauen mit abenteuerlichen Kopfbedeckungen arbeiten auf dem Feld. Lachen, Zurufe, große Bündel geernteter Tabakblätter werden über Kopf zum Weg getragen. Nicht im karibischen Kuba – sondern im südhessischen Lorsch an der Bergstraße.

Er hatte sich buchstäblich in Rauch aufgelöst, aber jetzt ist er zurück: original Lorscher Tabak der Sorte Geudertheimer, aus der Asche der Vergessenheit wiederauferstanden durch ein Bürgerprojekt des Kulturamtes in Lorsch.

Gabi Dewald, die Leiterin des Kultur- und Tourismusamts Lorsch.

Denn 300 Jahre Tabakanbau und -verarbeitung prägen. Die landwirtschaftliche Tradition und die Kunst der Zigarrenfertigung sind deshalb ein wichtiges Kapitel der Geschichte Lorschs. Ihren Ruf verdankt die Stadt jedoch vor allem ihrem karolingisch geführten Kloster, seit 1991 UNESCO-Weltkulturerbe. Dass das Fragment der einstigen Basilika lange als Tabakscheune genutzt wurde und so bis heute erhalten blieb, verbindet die beiden Themen. Zwei Tabakmuseen und das ungewöhnliches „Tabak-Projekt“, das auf bürgerschaftlichem Engagement gründet, halten darüber hinaus die Tradition lebendig.

Was bis vor kurzem noch kaum ein Besucher der Klosterstadt wusste: Bis in die 1980er Jahre wurde in Lorsch Tabak angebaut. Bis zu 1800 Arbeitsplätze standen hier zeitweise für die Bevölkerung bereit. „Dann hat sich die Produktion aber nicht mehr rentiert und die Firmen sind verschwunden“, erzählt Gabi Dewald, die Leiterin des Kultur- und Tourismusamts. Dass seit 2013 immer mehr Lorscher Bürger ehrenamtlich Tabak brechen, ist ihrer Initiative zu verdanken – sie ist der Motor hinter dem Tabakprojekt der Stadt. 2011 hat die gelernte Journalistin die Leitung desKultur- und Tourismusamtes übernommen mit einem ehrgeizigen Auftrag und Anspruch: Projekte entwickeln, die die Identifikation mit Lorsch nachhaltig verbessern.

„Uns interessiert die kulturanthropologische Seite, denn die jahrhundertelange Anbautradition einer derart arbeitsintensiven Kultur ist mentalitätsprägend“, sagt Gabi Dewald, die sich nun darüber freuen darf, dass auf 1300 Quadratmetern Ackerfläche heute bereits wieder 4000 Tabakpflanzen wachsen. 2017 wurde der letzte verbliebene Tabakschuppen auf Lorscher Gemarkung als Museum eröffnet. Das hölzerne Gebäude ist denkmalgeschützt und liegt nahe des Flüsschens Weschnitz im Areal des UNESCO-Weltkulturerbes. Im Museum geht es um die lokale Anbautradition – eine bewusst gewählte Fokussierung und die perfekte Ergänzung zum bereits 1995 eröffneten Lorscher Tabakmuseum in der Stadtmitte, wo die Zigarrenherstellung und die Rauchkultur mit historischen Exponaten gefeiert werden.

„Die Anerkennung der Tabakkultur als UNESCO-Weltkulturerbe wäre für die gesamte Metropolregion von Bedeutung.“

„Wir haben unser Tabakprojekt in mehrere Teile gegliedert“, erklärt Gabi Dewald. „Zum einen ist da das Bürgerprojekt, bei dem sich etwa 30 Männer und Frauen ehrenamtlich um den Tabak kümmern – von der Anzucht, Anpflanzung, Pflege, Ernte und Trocknung bis hin zur Fermentation“. Der ebenfalls ehrenamtliche Museumsleiter Bernhard Stroick koordiniert die ca. 200 Termine, vom Frühbeet über die Feldarbeit bis zum selbstgebauten Fermentierkäfig.

Das stolze Ergebnis ist die echte Lorscher Zigarre, die sogenannte „Lorsa Brasil“, die sich an historischen Vorgängern orientiert. Rund 10.000 Stück werden in Holzkisten mit jeweils fünf Zigarren angeboten und sind stets im Handumdrehen verkauft. Zum 1250. Jubiläum Lorschs, 2014, widmete sich die Ausstellung „Tabak in der Karikatur“ dem städtischen Erbe und der erste Tabakball ging über die Bühne, eine Hommage an die große Tabaktradition der Stadt. Gleichzeitig wurde der Tabak auch der thematische Schwerpunkt des beliebten Stadtfestes „Lorscher Kerb“. „Damit bringen wir die regionale Tabakkultur mit der Kubas zusammen“, schwärmt Gabi Dewald, „kubanische Zigarrenrollerinnen sitzen neben Einheimischen, deutsche Volksmusik trifft auf kubanische, Mojito und Bergsträßer Wein werden nebeneinander genossen, um zu sehen, dass man sich vielleicht ähnlicher ist, als man glaubt – und dass sich zwei sehr verschiedene Welten gegenseitig bereichern“.

Allerdings war das Echo auf das Fest nicht einhellig positiv, denn Rauchen hat aufgrund seiner gesundheitsschädlichen Wirkung ein schlechtes Image. „Doch darum dreht es sich beim Tabakprojekt primär auch nicht“, erklärt Gabi Dewald. „Vielmehr geht es um soziale Faktoren und beispielsweise um die Dokumentation der Entwicklung von der Agrar- zur Industriegesellschaft.“

Die begehrte Zigarre „Lorsa Brasil“.

Gemeinsam mit den Landkreisen Bergstraße, Germersheim und Rhein-Neckar will Lorsch nun einen nationalen Antrag bei der UNESCO stellen: für die Anerkennung der Tabakkultur als immaterielles Weltkulturerbe. Denn aus dem Anbau dieser Ausnahmepflanze erwuchsen Kulturleistungen und Fertigkeiten, menschliche Gemeinschaft und Rituale, die Stadt, Land und Leute bis heute prägen.

„Die Anerkennung der Tabakkultur als UNESCO-Weltkulturerbe wäre für die gesamte Metropolregion von Bedeutung“, glaubt Gabi Dewald. Um diese Anerkennung auch international zu erreichen, wird bereits über die Kooperation mit anderen Nationen nachgedacht. Die Verbindungen nach Kuba gibt es bereits – Lorscher Tabakpflanzer haben 2018 auf den Feldern von Pinar del Rio Erfahrungen gesammelt. Hier setzt auch ein transnationales kulturanthropologisches Projekt an. Ausgehend von der alten Tabakstadt Lorsch wird ein Austauschprojekt rund um die Tabakkultur zwischen Deutschland und Kuba aufgesetzt. In einem ersten Schritt brachte Gabi Dewald die Ausstellung „El Tabaco – Embajador de culturas“ nach Kuba. Die Fotoschau zum Tabakanbau in Lorsch wurde unter Anwesenheit der Deutschen Botschaft und der Präsidentin der kubanischen UNESCO-Welterben in der Altstadt von Havanna eröffnet. „Das war ein Erlebnis, denn zeitgleich fand das renommierte Habanos-Festival statt und die vielen Zigarren-Liebhaber konnten unsere Ausstellung sehen“ erinnert sich die Kulturamtsleiterin.Sie würde auch gerne eine internationale Konferenz nach Lorsch holen, die sich bspw. mit den sozialen, wirtschaftlichen, kulturanthropologischen oder architektonischen Aspekten der Tabakkultur befasst. „Dazu haben wir hier in der Metropolregion sozusagen die Kernkompetenz – ein super spannendes Thema, da krieg‘ ich richtig Gänsehaut!“ Also, von wegen Schall und Rauch!


www.lorsch.de

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