Der Mann hat Musik im Blut und Kesseldruck unter den Fingern: Ralf Rudolph spielt Tuba in der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz – und macht in der Pfalz mit dem Kuckucksbähnel ordentlich Dampf.

 

Sie wirkt wie ein gezähmtes, großes Tier. Geradezu gutmütig dampft sie vor sich hin. Aber kaum steht man direkt vor ihr, spürt man die enorme Hitze, die aus ihrem Innern kriecht – und dann wird klar: Dieser Koloss aus Stahl wirkt zwar geduldig, aber er kann auch mächtig fauchen. Das Abstellgleis, auf dem Ralf Rudolph die Dampflokomotive der Neustadter Eisenbahnfreunde an diesem Morgen geparkt hat, ist nicht wörtlich zu nehmen: In einer halben Stunde ist Abfahrt: Mit dem Kuckucksbähnel geht es von Neustadt an der Weinstraße nach Elmstein – quer durch den Pfälzerwald.

Auf Gleis 4 und 5 wird es eng. Wanderer lassen ihre Stöcke auf dem Bahnsteig klacken, Kinder rennen aufgeregt hin und her. Und als die Lok endlich im Bahnhof einfährt und unter riesigen Dampfwolken einen Gruß an die Fahrgäste tutet, fehlen eigentlich nur noch die weißen Taschentücher.

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Von Neustadt wird es über Lambrecht, Frankeneck, Erfenstein, Breitenstein und Helmbach bis nach Elmstein gehen – und zurück. Die historische Strecke quer durch den Wald wurde 1909 in Betrieb genommen und diente bis 1960 für den Personenverkehr, bis 1977 rollten dann nur noch Güterzüge mit Holzfracht über die romantisch gelegene Strecke. Ursprünglich sollte hier ein Radweg entstehen, doch dann erweckten die Neustadter Eisenbahnfreunde die Strecke zu neuem Leben.

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Sie drehen gern ein großes Rad: Ralf Rudolph (rechts) und Horst Kayser – Geschäftsstellenleiter des Eisenbahnmuseums Neustadt

Die „Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e.V.“ hat heute zwei historische Dampfloks in ihrem Fuhrpark – und pflegt das größte Eisenbahnarchiv Deutschlands. 13 Kilometer lang ist die eigene Netzstrecke, die eine Gleisbauabteilung regelmäßig pflegt und wartet. Wer möchte, kann sich aber auch zum Heizer oder Lokführer ausbilden lassen wie etwa Ralf Rudolph, der das Museum und immer wieder sonntags die Tour ehrenamtlich leitet. Im ganz normalen Leben ist er Solo-Tubist bei der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und Lehrbeauftragter verschiedener Musikhochschulen. Seit 1975 engagiert er sich zwischen Dienstreisen, Konzerten und Proben im Eisenbahnmuseum, nur zwei Jahre zuvor war es gegründet worden. Seitdem lebt er hier so etwas wie einen Kindheitstraum: Schon als er klein war, wollte er Lokführer werden. Und Musiker. Und heute ist er beides.

Ralf Rudolph lebt im pfälzischen Hambach, wo er die Kolpingskapelle dirigierte und die örtliche Musikschule gründete und leitete. Zuhause ist er im Jazz, sein Repertoire reicht von Bach bis Blues, schon allein, weil er seit Jahrzehnten auch in eigenen Ensembles, wie etwa dem Blechbläserquintett des SWR, dem Rennquintett, spielt. Vor Fernsehkameras hat er dafür auch schon mal am Neustadter Gleis und im „Kuckucksbähnel“ musiziert.

„Das hier ist gelebte Physik“, schwärmt der Eisenbahnfan, der öfter mal Ölspritzer im Gesicht hat: Seit sechs Uhr morgens ist er wieder mal auf den Beinen, seit sieben Uhr mit der „Dame“, der alten Lok beschäftigt. Zusammen mit Joschka Baum, der ihn als Heizer unterstützt, die Schlacke austauscht, Kohlen nachlegt und Wasser nachfüllt in den fast 19.000 Liter fassenden Tank. Gemeinsam haben sie zuvor die Schmierstoffe kontrolliert, die Lok geputzt und auf zwölf Bar Kesseldruck gebracht. Alles natürlich ehrenamtlich. Am Ende des Tages werden sie ein Fahrtenbuch ausfüllen – und regelmäßig bringen sie die alte Dame zum TÜV.

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Dampflokfreunde: Lokomotivführer Klaus Schwehm (in schwarz mit Mütze) mit ehemaligen Arbeitskollegen des Bahnbetriebswerkes Kaiserslautern

„Maschinenbau-Anstalt 1904, Humboldt Köln-Kalk“ steht auf der Lok, die früher als Kölner Hafenbahn, dann als Zechenlok im Ruhrgebiet im Einsatz war, ehe sie ins Neustadter Eisenbahnmuseum zog.

„Die Eisenbahn ist in jeder Hinsicht ein ernstes Geschäft, das schnellstmöglich beendet werden sollte“, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts der britische Schriftsteller John Ruskin geschrieben. Menschen würden in ihrem Innern in „lebende Pakete“ verwandelt. Das sieht in den Waggons, die man an die alte Dampflok angehängt hat, dann doch anders aus. Am Fenster hat sich eine fröhliche Frauentruppe mit Lunchpaketen eingerichtet. Gleich daneben singt ein Männerchor „Auf der deutschen Eisenbahn“. Und im Barwagen werden die ersten Weißweinschorlen ausgeschenkt – und natürlich die klassische Pfälzer Mischung: Wein – ganz leicht mit Wasser abgespritzt.

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Dazu passen die gemächlichen 40 Stundenkilometer, die das Kuckucksbähnel in der Spitze erreicht – auf ebener Strecke. Kleine Ortschaften, Burgruinen, von Wildschweinen durchwühlte Waldschneisen ziehen am Fenster vorbei. Und es erscheint kurios, dass die Menschen im 19. Jahrhundert die Eisenbahn zunächst als zu schnell empfanden. Denn auf dieser Fahrt lässt sich wunderbar die Langsamkeit entdecken. Entschleunigung auf Pfälzisch. Und Urlaub in der eigenen Heimat, der mit einer Fahrkarte beginnt. Auf Gleis 5 – mitten in Neustadt.


 

eisenbahnmuseum-neustadt.de

 

WO SONST-Filmclip: Volldampf

 

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