Traumhafte Lage, genialer Blick, historische Mauern, ein einmaliges Museum – und viel zu wenig Zeit: ein Besuch bei Klaus Johe, dem Touristikchef von Lindenfels im Odenwald.

 Wäre er damals gerollt und nicht gerutscht, hätte es böse ausgehen können für die kleine Stadt im Odenwald: dieser gewaltige Stein, den sie heute „Drachenfels“ nennen, hier in Lindenfels. Vor Jahren löste er sich aus dem Berg, durchbrach die Mauer der Burgruine – und kam unweit der ersten Wohnhäuser zum Stehen. Gefährlich war das, aber es ist ja nochmal gut gegangen.

Weiter also entlang des Weges: vorbei am Heilgarten, der früher Leben rettete und noch heute liebevoll gepflegt wird. Hin zum dunklen Kerker, dem Eisengrün-Turm. Benannt nach seinem letzten Insassen, der den Kurfürsten bei der Jagd angegriffen haben soll. Auch Klaus Johe hört genau hin, wenn Gästeführerin Ilse Bonn von diesen Orten und ihren Geschichten erzählt.

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Ehrenamtliche wie die 77-jährige Stadtführerin sind ein Segen für Johe. Er ist Chef des Kur- und Touristikservices in Lindenfels und leitet, um es genau zu nehmen, sich selbst. Lindenfels gehört zu den Kommunen, die unter dem hessischen Schutzschirm stehen, weil ihre Kassen so klamm sind. Der Ort, 5.100 Einwohner, muss sparen – auch am Tourismus. Während Johe vor Jahren noch eine halbe Stelle zur Unterstützung hatte, ist er nun Einzelkämpfer. Dabei fühlt er sich manchmal wie eine „eierlegende Wollmilchsau“, der die Zeit fehlt. „Zeit für Schöpferisches.“

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Der rastlose Touristikchef: Klaus Johe – mal wieder bei der Arbeit.

Der Mann aus Beerfelden vermarktet den heilklimatischen Kurort. Dessen Häuser liegen in 340 bis 550 Metern Höhe terrassenförmig im Südwesthang des Odenwaldes – eine spektakuläre Lage und Aussicht auf den die Rheinebene und den Odenwald. „Lindenfels hat eine sagenhafte Landschaft“, schwärmt Klaus Johe und das meint er wörtlich, führt doch der Nibelungensteig direkt an seinem Bürofenster vorbei. Jener Fernwanderweg, der von der Bergstraße im Westen den Odenwald bis an den Main durchzieht. Gesäumt von Sehenswürdigkeiten, gepflastert mit Geschichten. Wanderer machen etwa Halt an Brunnen, an denen Hagen von Tronje Siegfried ermordet haben soll.

 

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Nein, romantischer geht‘s leider nicht.

Lindenfels wurde 1123 erstmals urkundlich genannt. Pfalzgraf Konrad von Staufen, der Halbbruder von Kaiser Barbarossa, soll die Burg erbaut haben. Diesen Ausgangsort kurpfälzischer Politik. Über die Jahrhunderte wurde die Anlage ausgebaut: die Stadtmauer errichtet, die Burg zur Festung vergrößert. Mehrmals besetzten fremde Truppen die Burg, zerstört wurde sie dabei nie. Dafür waren vielmehr drei heimische Herren verantwortlich.

Klaus Johe kennt den alten Spruch: „Marlock, Mack und Ferber – Burg-Lindenfels-Verderber.“

Die Oberamtsherren sorgten dafür, dass die Burg 1779 auf Abbruch verkauft wurde. So stützen Steine aus der Burg noch heute alte Lindenfelser Gebäude.

Ilse Bonn zeigt auf die „Pechnase“ über dem Tor, das in die Burgruine führt. Von ihr aus konnten die Bewohner den Feind mit heißem Wasser oder Öl beschütten. Wer das Tor durchschreitet, findet Linien aus Steinen am Boden. Sie markieren, wo Mauern standen – Gebäude oder der Bergfried im Burghof. Wenn Ilse Bonn Geschichte lebendig werden lässt, kann die Lindenfelserin ihre berufliche Vergangenheit nicht verbergen. Das weiße Haar hat die pensionierte Lehrerin zurückgebunden, ihr Gesicht ziert eine sehr moderne, große, rotschimmernde Brille. Wenn sie Gästegruppen durch die Burgruine führt, trägt sie ein historisches Kostüm, etwa eine Kutte mit weiten Ärmeln, eine Läusehaube, eine Halskette aus Ton.

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Achtung, hier kommt Ilse Bonn – und führt uns mal eben ins Mittelalter.

Mit ihren Erzählungen im Ohr braucht es nur wenig Fantasie, sich auf den belebten Burghof zu versetzen, auf dem Ritter ihre Rüstung polieren, der Schmied die Hufe stolzer Schlachtrösser beschlägt, elegante Burgfräulein um die alte Linde tanzen. In der historischen Kulisse findet alle zwei Jahre ein mittelalterliches Fest statt. Anfang August steht das Burg- und Trachtenfest im Veranstaltungskalender, und Ende August ein Open-Air-Kino in der Burgruine, gesponsert von der Sparkassenstiftung Starkenburg und organisiert von dem Mannheimer Filmjournalisten Michael Spiegel, der mit „Kino unterwegs“ immer wieder Kino an ungewöhnliche Orte bringt.

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Und überall wilde Drachen.

Wer die Treppen nach oben steigt, genießt einen ungewöhnlich weiten und schönen Ausblick ins Weschnitztal. In Lindenfels, so behaupten Ilse Bonn und Klaus Johe, hat man einen langen Stab, „um die Wolken wegzuschieben“. Klappt das mal nicht, gibt es wenige Fußminuten abwärts das Drachenmuseum: Die Fabelwesen sind durch die Anbindung an die Touristikstraße „Siegfried“, die an den Sagenhelden erinnert, zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Viele sind im Stadtgebiet verteilt. Groß und angsteinflößend wirken die Exemplare aus Styropor nicht, eher zahm und freundlich. Wohl auch, weil die Lindenfelser sie bunt angemalt haben.

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Peter C. Woitge war „vor vielen Jahren“ ihr Bürgermeister. Jetzt ist er Chef des Vereins „Das Deutsche Drachenmuseum“, der die Ausstellung mit 700 Exponaten aufgebaut hat und mit Herzblut betreibt. Das Museum ist das einzige seiner Art in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. Auf 150 Quadratmetern gibt es Stadtwappen, kunstvolle Tee-Services, Figuren – und allerlei Ausgefallenes. Da ist der riesige Abguss eines Tyrannosaurus-Rex-Schädels aus Kanada, da gibt es tausende Jahre alte Holzsiegel aus Mesopotamien. Im Obergeschoss können Kinder in der kuscheligen Drachenhöhle spielen oder – wenn sie sich trauen – den Vorhang gegenüber lüften, hinter dem ein gefährlicher Drachen haust. „In Asien gilt der Drache als Beschützer der Familie und des Hauses“, erklärt Woitge, neben dem es übrigens noch einen heimlichen Chef im Drachenmuseum gibt: Harry. Einer mehr, auf den Klaus Johe bei seiner touristischen Mission zählen kann. Denn die Echse könnte schon bald zum Star internationaler Filmfestivals werden: In einer Produktion des Kunst- und Kulturprojekts Matchbox über die Nibelungensage spielt die eigentlich ziemlich friedlich dreinblickende Bartagame nämlich den furchteinflößenden Drachen, den Siegfried tötet.


www.lindenfels.de/tourismus

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