Sie spüren den Bass und ihre Hände beginnen zu singen. Der Gebärden-Chor „Voice Hands“ baut in Frankenthal eine Brücke zwischen der Welt der Gehörlosen und der Hörenden – und setzt damit auch ein politisches Zeichen.

Ein vorbeifahrendes Auto, Vogelgezwitscher, ein Handy-Klingeln, oder ein tief wummernder Bass, den man sogar fühlen kann. Für die fünf Chorfrauen von „Voice Hands“ sind diese Schallwellen entscheidend. Nur durch sie – und durch den Augenkontakt zu ihrem Sänger und Chorleiter Klaus Schwarz – wissen sie, wann ein Lied beginnt.

Montagabend im „Kommunikationszentrum Frankenthal“, seit 25 Jahren Sitz des rheinland-pfälzischen Landesverbands der Gehörlosen. Hier treffen sich Daniela Barde aus Schifferstadt, Monika Blank aus Mannheim, Ursula Menger aus Bellheim, Dorothee Reddig aus Frankenthal und Daniela Schanzenbach aus Ludwigshafen mit Sänger Klaus Schwarz aus Schifferstadt.

Die Damen des Gebärden-Chors Voice Hands: Dorothee Redig, Ursula Menger, Daniela Barde und Monika Blank (nicht auf dem Foto: Daniela Schanzenbach und Klaus Schwarz).

Gegründet wurde der Chor im November 2016. Er entstand aus einer Idee der beiden langjährigen Freunde Daniela Barde und Klaus Schwarz. Ärzte haben wenige Monate nach der Geburt von Daniela Gehörlosigkeit diagnostiziert. Mit einer Hörprothese kann die junge Frau seit ein paar Jahren ein wenig hören, wenn auch mit Anstrengung.  Klaus, eigentlich gelernter Dachdecker, zieht als „Schlager Klaus“ von Party zu Party und schreibt Songs – seine eigenen und Auftragstexte für andere Künstler. Klaus: „Ich fand es so schade, dass Daniela und generell taube Menschen meine Songs nicht erleben können.“

Gründete den Chor zusammen mit Klaus Schwarz: Daniela Barde.

Also stellten Daniela und Klaus die Idee eines Chores im Kommunikationszentrum vor – und innerhalb kürzester Zeit fand sich das Team. Klaus singt laut für alle Hörenden – die Damen singen mit ihren Händen für alle Gehörlosen. Eigentlich gebärden sie die Lieder mit ihrem ganzen Körper. Es ist ein Zusammenspiel der Hände, der Mimik, der Kopf- und Körperhaltung.

Das von Schwarz komponierte Lied „Ich wünsche mir Frieden“ war einer der ersten Songs. Klaus schmettert „Die Erde ist für alle da zum Leben“ und die Damen formen elegant mit ihren Händen einen Kreis und weitere fließende Zeichen, die ein Mensch, der keine Gebärdensprache beherrscht, schwer deuten kann. „Die deutsche Gebärdensprache besitzt eine eigenständige Grammatik“, erklären die Damen. Erst 2002 wurde sie offiziell und neben der Sprache Deutsch als gleichwertige Amtssprache anerkannt und gesetzlich verankert. Ein Meilenstein für die Welt der tauben Menschen.

„In unseren Liedern zeigen wir Gebärdenpoesie. Wir verbinden Bilder miteinander, die ineinander fließen. Das ist visuelle Kunst.“

Eine Dolmetscherin für Deutsche Laut- und Gebärdensprache übersetzt heute das Interview. Dorothee, heute Rentnerin, lässt uns wissen, dass sie vier Jahre alt war, als sie ihr Hörvermögen verlor. Ihre Gehörlosenschule war auf die oralistische Methode ausgerichtet. Man zwang die Kinder, sich an die Welt der hörenden Menschen anzupassen: „Teilweise wurden uns die Hände auf den Rücken gebunden. Der Lehrer hat uns mit den Fingern auf die Backen gedrückt“. Kehlkopf, Mund, Zunge sollten Laute erzeugen. Die Vermittlung von Allgemeinbildung war zweitrangig. „Von rund 70 Schulen unterrichten bis heute trotzdem nicht mal eine Handvoll Schulen vollwertig bilingualen Unterricht“, kritisieren die Damen den Status quo.

Dorothee Redig gebärdet aus der Vergangenheit.

„Unser Chor ist damit auch ein politisches Statement“, gebärdet Daniela. „Wir können alles – außer hören.“ Die Damen lachen. Monika, die hörend geboren wurde, und erst durch eine Krankheit als Kindergartenkind ihr Hörvermögen verlor, meint: „Meine Hände sind elementar für mich.“ Ursula fügt hinzu und ihr ganzes Gesicht zeugt von Stolz: „In unseren Liedern zeigen wir Gebärdenpoesie. Wir verbinden Bilder miteinander, die ineinander fließen. Das ist visuelle Kunst.“ Sie ist von Geburt an taub, auch ihre Eltern waren gehörlos.

Pfarrer Friedhelm Zeiss, Gehörlosen-Seelsorger für die Evangelische Kirche der Pfalz, weiß: „Gehörlose Menschen haben noch immer gegen Vorurteile und Ausgrenzung zu kämpfen.“ Das zeigt sich im Alltag, wenn etwa ein Arztbesuch ohne Dolmetscher zur Tortur wird ebenso wie beim Fernsehen, weil nur ganz wenige Sendungen in Gebärdensprache übersetzt werden. Hürden, wohin man schaut. Auch bei der Berufswahl: „Selbst Hochqualifizierte haben geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“

Dorothee wäre gerne Sportlehrerin geworden. Durch die Teilnahme an einem Pilotprojekt konnte sie zumindest Erzieherin werden. Die anderen Damen übernahmen sogenannte „typische“ Berufe für Gehörlose – überwiegend handwerkliche oder manuelle Berufe, wie Technische Zeichnerin, Gärtnerin oder Datentypistin. Ursula: „Heute gibt es viele Gehörlose, die sich nicht mehr mit diesen Grenzen abfinden wollen. Man begegnet gehörlosen Rechtsanwälten oder Psychologen.“ So steht der Chor auch für die Sichtbarkeit der Gehörlosen in der Gesellschaft.

Seit zwei Jahren auf Tour, hat der Chor heute schon mehrere hundert Likes und Follower auf Facebook. „Voice Hands“ trat beim Rheinland-Pfalz-Tag in Worms auf, beim Neujahrsempfang in Ludwigshafen, beim Fest der Menschlichkeit in Karlsruhe oder beim Frühlingsfest der Naturfreunde Bezirk Rhein-Haardt. Mit nachdenklichen Liedern, wie „Sei nicht traurig, wenn ich gehe“ oder mit witzigen, wie „Rote Lippen soll man küssen“. Alle Einnahmen werden für gute Zwecke gespendet. Klaus, der Songschreiber sagt: „Die Leute erleben die Gebärdensprache oft zum ersten Mal. Wir bekommen enorm viel positive Rückmeldung. Die Zuschauer haben Tränen in den Augen, schunkeln mit. Und geben uns visuellen Applaus.“ In der gehörlosen Welt klatscht man übrigens nicht in die Hände, sondern reckt die Hände hoch und dreht die Handgelenke hin- und her. Sichtbarer Applaus!


Voice Hands

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